Soll ich mich wirklich ein drittes Mal impfen lassen?

Dr. Philipp Kolb
Dr. Philipp Kolb (36) ist Virologe an der Uniklinik Freiburg.

Es ist zum Verzweifeln. Nach vier Wellen herrscht immer noch Skepsis was die Impfungen angeht. Dabei ist die Wirksamkeit abso­lut ein­deu­tig. Bis zu 100-fach höhere Inzidenz bei Ungeimpften und unter den an COVID-19 Erkrankten oder Gestorbenen stel­len die Ungeimpften die abso­lute Mehrheit. Die Krankenhäuser äch­zen. Wie man es dreht und wen­det, die Impfung ist der ein­zige Weg die Pandemie zu beherr­schen und Deutschland geht ihn nicht kon­se­quent. Weder viel teu­res Testen noch die Herdenimmunität wer­den uns lang­fris­tig ret­ten. Wer das glaubt, baut Luftschlösser. Man kann nach fast zwei Jahren Pandemie und einem Jahr Erfahrung mit den mil­li­ar­den­fach ver­ab­reich­ten Impfstoffen nicht mehr mit Ungewissheit oder feh­len­den Daten argu­men­tie­ren.

Die Impfung ist sicher, wirkt und schützt. Es ist eine Sternstunde der Wissenschaft und der moder­nen Medizin. Deutschland könnte so stolz sein auf die weg­wei­sende Forschung und die bahn­bre­chen­den Entwicklungen aus unse­rer Heimat.

Aufgrund der immer wie­der auf­flam­men­den Verbreitung von SARS-CoV2 und sei­ner mutier­ten Ableger gilt: Wer sich nicht imp­fen lässt, der bekommt die Infektion irgend­wann auch. Das bestä­tigt auch, was bereits 2020 von allen Virologen vor­her­ge­sagt wurde, das Virus bleibt. Man lässt sich also imp­fen, um alle die­je­ni­gen zu schüt­zen, die nicht geimpft wer­den kön­nen, aber man schützt sich eben auch selbst. Denn wer allen Ernstes die Infektion der Impfung vor­zieht, ist des Wahnsinns; oder wirk­lich inter­es­siert daran, Teil der kli­ni­schen Studien zu sein, die Langzeitfolgen von COVID-19 unter­su­chen. Ganz ohne Sarkasmus gibt es aber auch noch die Frage nach der Notwendigkeit einer drit­ten Impfung zu beur­tei­len. Die kurze Antwort: Natürlich muss das sein. Viele Impfstoffe zei­gen die höchste Wirksamkeit nach drei Impfungen, denn das liegt in der Natur der Sache. Das Immunsystem reagiert eben beson­ders gut auf eine sol­che Strategie. Das ist nichts Neues. In Zeiten der Deltavariante bekommt die dritte Impfung aber noch ein wei­te­res Argument. Es hat sich gezeigt, dass ältere Mitbürger nach zwei Impfungen im Durchschnitt nur wenige Antikörper pro­du­zie­ren. Das reicht in der Regel zwar gegen Varianten der ers­ten Wellen aus, aber für Delta braucht es mehr Antikörper um eine effi­zi­ente Kreuzreaktion zu gewähr­leis­ten. Neueste Studien zei­gen, dass das mit der drit­ten Impfung erreicht wird. Auch junge, weni­ger krank­heits­ge­fähr­dete Menschen haben oft zu nied­rige Antikörperlevel um Delta kom­plett abzu­weh­ren. Dort ist das Boostern zusätz­lich wich­tig um die Verbreitung der Deltavariante ein­zu­däm­men. Es sind ja auch bereits neue Varianten des Virus in Deutschland ange­kom­men. Bei denen wis­sen wir noch nicht, was nötig sein wird, um sie zu ent­waff­nen. Eine Bevölkerung mit hoher Immunität gegen die aktu­el­len Varianten ist aber sicher ein guter Anfang; auch um der Entstehung wei­te­rer Varianten ent­ge­gen­zu­wir­ken. Es ist dabei nicht allzu wich­tig wel­chen RNA-Impfstoff man bekommt oder ob der immer vom sel­ben Hersteller ist. Aktuelle Erhebungen zei­gen zum Beispiel, dass eine Impfung mit dem höher dosier­ten Moderna-Impfstoff zwei vor­an­ge­gan­gene Biontech-Impfungen opti­mal ergänzt. Diese Info ist sogar so zugäng­lich, dass man sie beim WDR erfährt.

Aber woher kommt nun die gene­relle Impfskepsis? Die Zahlen zu den Impferfolgen sind frei ein­seh­bar. Und auch die Risiken sind über­all offen­ge­legt. Es gab kein Massensterben und auch keine Welle der Unfruchtbarkeit unter den Geimpften. Übersehen wir etwas? Meine eigene Erfahrung sagt mir, dass zu viele Menschen immer noch der anek­do­ti­schen Evidenz oder der Mundpropaganda zu viel Glauben schen­ken. Die ech­ten Zahlen sind zwar ein­deu­tig, aber die Horrorgeschichten aus den Whatsapp-Kettenbriefen oder aus dem Munde eini­ger selbst­er­nann­ter „Aufklärer“ spre­chen oft ganz per­sön­lich an. Hier tut sich vor allem Prof. Bhakdi her­vor, der aktu­ell mit kru­den Thesen gegen die Impfung unter­wegs ist. Diese stüt­zen sich aller­dings auf fal­sche Annahmen, valide Forschung wird falsch zitiert. Auch wenn es nur eine Hand voll sol­cher „Experten“ gibt, wer­den sie immer wie­der den hun­dert­tau­sen­den Wissenschaftlern und Medizinern gegen­über­ge­stellt, die mit einer Stimme das glei­che pre­di­gen: Das Virus tötet und die Impfung hilft. So ein­fach ist das. Das Ausland wun­dert sich bereits über Deutschland, ein Land das auf höchs­tem Niveau forscht und zu den füh­ren­den Wissenschaftsnationen der Erde gehört. Wie kann es sein, dass die Heimat eini­ger der größ­ten Wissenschaftler der Neuzeit nun so wenig auf die Wissenschaft ver­traut? Man kann die Schuld der Politik und ihrer Kommunikation geben oder eben die selbst­er­nann­ten Experten anfein­den. Ich per­sön­lich denke aber, dass es an der Zeit ist sich selbst zu fra­gen, wo man steht. Das Internet ist frei und alle rele­van­ten Infos sind auf den Seiten der öffent­li­chen Institutionen zu erfah­ren. Unter jedem YouTube Video sind Links, die zu offi­zi­ell erho­be­nen Daten füh­ren, wel­che jeden Aspekt der Pandemie detail­liert dar­stel­len. Die Zeit der dif­fu­sen Ängste und wil­den Thesen muss enden, denn die ein­zige lang­fris­tige Lösung des Problems beginnt mit der gene­rel­len Bereitschaft eines jeden von uns, sich imp­fen zu las­sen. Das gilt beson­ders des­halb, weil sich zeigt, dass Corona eher dem Schema der Grippe folgt und die Impfung gegen nur ein paar Varianten nicht ein Leben lang rei­chen wird. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die RNA-Impfstoffe schnell an aktu­ell zir­ku­lie­rende Varianten anzu­pas­sen und dass wir es schaf­fen, allen Mutanten mit einer anhal­ten­den und brei­ten Impfbereitschaft zu begeg­nen. Dann könnte die Zukunft so aus­se­hen, dass wir in regel­mä­ßi­gen Abständen Grippe/Corona Kombi-Impfstoffe ver­ab­rei­chen und so der Lage Herr wer­den.

https://​www​.infek​ti​ons​schutz​.de/​c​o​r​o​n​a​v​i​r​us/