„Wir können uns nicht noch mehr Schulden leisten.“ „Das müssen später mal unsere Kindeskinder abbezahlen.“ „Man kann doch keinen Aufschwung auf Pump finanzieren.“ Diese und ähnliche Aussagen liest man nicht nur in Diskussionen über das Konjunkturpaket der Bundesregierung, sondern allgemein, wenn der Staat neue Schulden aufnimmt. Durch unsere Erziehung klingen die Aussagen erst einmal logisch, aber sind sie es auch?
Im Prinzip funktioniert unser Zusammenleben nur durch Schulden. Das können moralische sein („ich habe dir geholfen, nun brauche ich deine Hilfe“, „du schuldest mir einen Gefallen“), monetäre („laut Kreditvertrag schuldest du mir noch 5000 €“) oder eine Mischform daraus („ich leihe dir ständig mein Auto, also solltest du auch einen Teil der Reparaturkosten übernehmen“). Schulden sind sogar essentiell für die Gesellschaft, denn sie basiert auf Rechten, Pflichten und Regeln. Schulden dienen einerseits dazu, dass Regeln eingehalten werden (wer zu schnell fährt, bekommt Schulden in Form eines Ordnungsgeldes), andererseits auch, dass wir unser Verhalten ändern wollen (wer umweltfreundlich Strom erzeugt, muss weniger Steuern zahlen, hat also weniger Schulden beim Staat). Jede Steuer ist auch eine Schuld. Wir legen somit fest, was Schuld ist und wie groß diese ist. Je nachdem, welche Regierung wir wählen, werden Dinge anders besteuert oder gar nicht, Bußgelder erhoben oder gesenkt. Wir Menschen haben es somit in der Hand, Schulden zu erzeugen oder zu erlassen. Das gilt nicht nur für den Staat, sondern auch privat. Je nach Epoche und Staatsform war es z.B. ganz normal, dass man für Schulden einstehen musste, die der Onkel aufgenommen hat, ohne dass man gefragt wurde. So etwas empfinden wir in der heutigen Zeit hingegen als unmoralisch. Was wir als Schuld empfinden, ändert sich somit eigentlich permanent.
Übertragen auf Staatsschulden: Ein Staat nimmt Schulden auf, indem er z.B. Anleihen ausgibt. Leute kaufen diese, geben dem Staat Geld und der Staat verspricht, dass er das Geld später zurückzahlt mit Zins. In der Summe bekommt man als Käufer somit mehr Geld zurück, als man bezahlt hat. Doch man kann dies nur machen, wenn man Geld hat, das man nicht zum täglichen Leben braucht, schließlich kann man über Jahre nicht darauf zugreifen. Dem Staat Geld zu leihen macht auch nur Sinn, wenn man es zu Lebzeiten zurück bekommt, denn was hat man sonst davon? Man könnte sich stattdessen etwas kaufen, wovon man sofort etwas hat, also die Freude daran noch erlebt. Jemandem etwas zu leihen, erfordert somit auch Vertrauen.
Wie man sieht, ist es mehr oder weniger Psychologie, was Schulden sind, ob wir jemandem Kredit geben, wie lange man etwas zurückbezahlen muss oder vielleicht nie. Nie? Ja, das passiert häufiger als man denkt, dazu später mehr.
Aktuell ist die Situation so: Eine Unsicherheit ist da, viele Betriebe wissen nicht, wie es weitergeht. Also ist das Naheliegendste, erst einmal alle Investitionen in neue Maschinen, Gebäude usw. zu stoppen. Das ist für den Einzelnen sinnvoll, doch wenn es alle machen, braucht auf einmal niemand mehr Dachdecker. Die Dachdecker werden so arbeitslos, obwohl es prinzipiell genug Dächer zu dämmen und sanieren gäbe. Nun haben die Handwerker laufende Kosten und können nicht einfach ein Jahr abwarten. Das Verschieben von Investitionen aus Gründen der Unsicherheit startet somit eine Spirale des Abschwungs. Diesen Weg in den Abschwung gilt es also ändern. Und genau das versucht das Konjunkturpaket: Steuern werden gesenkt, man hat dadurch weniger Schulden beim Staat und mehr zum Investieren, und Fördermittel werden gegeben damit man Investitionen nicht aufschieben muss. Zudem investiert der Staat direkt in Forschung z.B. für umweltfreundliche Antriebe.
Dadurch steigt die Staatsverschuldung. Doch ist das sinnvoll? Denn wie beschrieben, sind Schulden im Prinzip nichts „Reales“. Offensichtlich gibt es genug Leute und Institutionen (die wiederum Geld von Leuten zum Anlegen eingesammelt haben), die dem Staat Geld geben können (genug haben) und auch wollen (ihm vertrauen). Für uns alle ist das wiederum gut denn jeder, der einmal arbeitslos war, weiß wie demotivierend diese Situation ist. Wirtschaft und Staat sind für die Menschen da, und es ist viel sinnvoller, dass Arbeit kontinuierlich gemacht werden kann, als dass Leute zu Hause sitzen und der Staat sie unterstützt. Diese Unterstützung sind wir uns gegenseitig übrigens schuldig: Durch unser Handeln brauchen Personen Hilfe, also erlegt der Staat uns mit Steuern eine Schuld auf, durch die wir diese Personen indirekt unterstützen. Es ist somit ein Kreislauf von Schulden.
Doch warum sind Schulden nicht „real“? Schließlich steht in einem Kreditvertrag genau drin, was man an Schulden hat. Nun, wenn wir einen Wald roden, ist er weg, ganz real. Sprich, wir haben Schuld daran und können nicht im Parlament beschließen, dass er wieder da sein soll. Wir müssen ihn über Jahre wieder aufforsten und die Konsequenzen tragen. Schulden können wir hingegen einfach per Beschluss ändern, aufheben, umschichten usw. Schulden über Generationen gibt es daher kaum, reale Schuld hingegen schon. So wurden Deutschland nach dem 1. Weltkrieg Schulden/Reparationen auferlegt. Damit konnte reale Schuld wie zerstörte Häuser und Unterstützung von Versehrten beglichen werden. Aber die Höhe und Dauer war Politik. Schlussendlich hat man diese Schulden mit der Zeit schrittweise reduziert und auch erlassen. (eine gute Beschreibung dazu finden Sie im Wikipedia-Artikel „Londoner Schuldenabkommen“)
Zusammengefasst: Schulden werden von Menschen gemacht und können von uns jederzeit geändert werden. Schulden zu vermeiden ist nicht immer sinnvoll, weil dadurch reale Schuld entsteht. Arbeitslosigkeit kann man durch Staatsschulden vermeiden, also warum nicht? Vermeidung von Schulden kann sogar reale Schuld erzeugen. Zum Beispiel haben wir im Grundgesetz seit kurzem eine Schuldenbremse. Eine Gemeinde muss gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen (Straßen bauen, KiTas betreiben uvm.), dazu darf sie nicht mehr einfach Schulden aufnehmen, sondern wird als Ausweg vielleicht ihren Wald stärker abholzen, als er sich wieder erholen kann, um damit die laufenden Kosten zu decken. Aus nicht-realen Schulden ist dann reale Schuld des kaputten Waldes geworden, die man nicht wieder begleichen kann. Wir müssen uns bewusst machen, was der Unterschied zwischen Schulden und realer Schuld ist. Was können wir schnell ändern und was wird uns dagegen über Generationen begleiten?
Autor: Uwe Stöhr