Kurzer Test zu Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien haben immer Konjunktur. Nicht nur durch die Corona-Epidemie tau­chen sie in allen Ecken des Internets auf. Damit Sie schnell ent­schei­den kön­nen, ob es eine Theorie wert ist, erforscht zu wer­den oder nicht, ist hier ein klei­ner Test, bei dem Sie sich nur eine die­ser drei Fragen stel­len müs­sen:

1. Sind reiche und wichtige Leute betroffen?

Mit die­ser Frage kann man viele Theorien schon recht schnell ein­ord­nen. Dazu ist auch die­ses kurze Video emp­foh­len.
Nehmen wir z.B. die geläu­fige Theorie „Es gibt ein Mittel gegen Krebs, aber die Pharmaindustrie ver­dient nur an Kranken, gibt es daher nicht her­aus“. Das klingt erst ein­mal plau­si­bel. Doch warum stirbt dann einer der reichs­ten Menschen an Krebs? So hatte Steve Jobs zum Zeitpunkt sei­nes Todes ein Vermögen von ca. 8 Milliarden Dollar, dazu Kontakte zu allen Kreisen, zu Regierungen und Forschern. Ihm hat es nicht gehol­fen – weil es wohl doch kein gehei­mes Heilmittel gibt.

2. Wie könnte man es umsetzen, damit genau der gewünschte Effekt eintritt und man selbst und seine Familie nicht betroffen ist?

Diese Frage dreht die übli­che Denkweise um. Stellen Sie sich vor, sie sind ein Bösewicht oder möch­ten Teil einer Verschwörung sein. Wie kön­nen Sie ihr Ziel errei­chen?
Spielen wir es anhand die­ser gerade kur­sie­ren­den Theorie ein­mal durch: „Die Corona-Epidemie wurde von Menschen initi­iert um mit ein­bre­chen­den Aktienmärkten Geld zu ver­die­nen“.

Sie möch­ten Geld ver­die­nen. Wenn Sie wis­sen, dass die Aktienkurse in der Zukunft fal­len, kön­nen Sie dar­auf wet­ten (z.B. mit Leerverkäufen) und jede Menge Geld ver­die­nen. Also ist Ihr Ziel, die Aktienmärkte inner­halb einer bestimm­ten Zeit zum sin­ken zu brin­gen, ohne dass es für Andere vor­her­seh­bar ist.

Nachdem Sie mit Ihren Mitverschwörern ver­schie­dene Strategien durch­ge­spielt haben, sind Sie dar­auf gekom­men, dass eine Krankheit eine gute Idee wäre. Sie brau­chen jetzt gute Kontakte in Labore, zu Forschern, die dicht hal­ten und nach Feierabend an einem Keim for­schen, der kann was Sie brau­chen:

  • A. Befällt Menschen
  • B. Ist ent­we­der neu, so dass es kein Mittel dage­gen gibt oder bekannt aber eben­falls noch ohne bekann­tes Gegenmittel. Damit es Sie und Ihre Familie nicht befällt, brau­chen Sie ent­we­der ein gehei­mes Gegenmittel oder Sie müs­sen sich nach Ausbruch per­fekt von ande­ren Menschen über Monate abschot­ten kön­nen.
  • C. Der Keim sollte eine gewisse Todesrate haben, denn sie brau­chen Panik für große Kursstürze an den Märkten. Zu töd­lich darf er aber auch nicht sein, weil er sich sonst nicht aus­brei­ten kann.
  • D. Der Keim sollte genauso blei­ben wie Sie ihn ent­wor­fen haben. Mutiert er, kann er ent­we­der harm­los oder zu töd­lich wer­den.

Damit alle dicht hal­ten, brau­chen Sie erst ein­mal viel Bestechungsgeld. Kein Problem, denn Sie sind super­reich und statt in eine neue Yacht, inves­tie­ren sie ihr Geld eben in einen neuen Keim? OK. Sie sind jedoch nicht vom Fach und mer­ken, dass die Virologen Ihnen etwas ande­res sagen als die Bakteriologen. Sie müs­sen sich daher ent­schei­den und dabei muss Ihnen jemand aus dem Fachbereich hel­fen. Außer Ihren Mitverschwörern, haben Sie nun wei­tere Mitwisser. Jeder Mitwisser will natür­lich sei­nen Anteil haben und kann Sie erpres­sen. Um Leuten ihre Moral abzu­kau­fen (die Forscher wis­sen, dass am Keim Menschen ster­ben wer­den), brau­chen Sie sehr viel Geld und auch Leute, die die Forscher unter Druck set­zen, nichts zu ver­ra­ten. Sie soll­ten also selbst Diktator sein, oder einer Ihrer Mitverschwörer ist es und kann einen gan­zen Staat kon­trol­lie­ren.

Sie haben sich für ein Virus als Keim ent­schie­den. Dank Ihrer Mitverschwörer kön­nen Sie Personen in einem Labor bestechen oder zwin­gen, ein Virus zu ent­wi­ckeln oder eines aus­zu­su­chen. Nun müs­sen Sie es da frei­set­zen, wo es den gewünsch­ten Effekt hat:

  • Dicht besie­delt
  • Wirtschaftlich stark und welt­wirt­schaft­lich rele­vant

Die Verbreitung sollte dann durch Reisen der Infizierten von­stat­ten gehen.

Klassifikation der Coronaviren
Abb. 1. Klassifikation der Coronaviren, SARS-CoV‑2 (rote Schrift) wird hier noch bezeich­net als „2019-nCoV“; Bildquelle

Bevor Sie los­le­gen, müs­sen Sie Ihr eige­nes Risiko abschät­zen. Die Fachleute sagen Ihnen, dass gerade RNA-Viren, wie das aktu­elle SARS-CoV‑2 sehr stark und schnell mutie­ren. Das heißt, ihre Erbinformation ändert sich stän­dig. Wie man in Abb. 1 sieht, ist das Virus „Bat CoV RaTG13“ gene­tisch dem SARS-CoV‑2 am nächs­ten. Es ist jedoch nicht in der Lage, Menschen zu befal­len. Punkt D macht Ihnen also einen Strich durch die Rechnung, denn wenn es keine Menschen befällt, haben Sie nichts davon. Es kann auch zu einem Killer mutie­ren, an dem Leute inner­halb von weni­gen Tagen ster­ben und es daher nicht effek­tiv ver­brei­ten kön­nen. Ihr gehei­mes Gegenmittel hilft Ihnen dann nichts, weil sie durch die Mutation mit einem ande­ren Virus infi­ziert sind. Diese per­ma­nen­ten Mutationen sind übri­gens der Grund, warum es jeden Herbst einen neuen Grippeimpfstoff gibt.

Ergebnis: Einen Kurssturz per Virus zu errei­chen, ist eine sehr teure und sehr unsi­chere Methode. Zudem könn­ten Sie oder Ihnen liebe Menschen daran ster­ben.
Geld ver­die­nen kann man anders bes­ser, z.B. indem man den Aktienkurs eines Unternehmens treibt, indem man etwas für die Zukunft ver­spricht. Die Anleger glau­ben es und kau­fen einem die Aktien des Unternehmens zu einem höhe­ren Preis ab, als man selbst dafür bezahlt hat.

Die Überlegung wie man eine Theorie umset­zen könnte, kann man immer machen, ohne dass man ein Fachmann sein muss. Sie müs­sen nur bereit sein, sich in die Lage des Verschwörers hin­ein­zu­ver­set­zen.

3. Wie kann man es auf Dauer geheim halten?

Was nicht geheim ist, bringt einem Verschwörer nichts.

Nehmen wir als Beispiel die Theorie, dass „in Kondensstreifen von Flugzeugen Chemikalien ent­hal­ten sind, die die Bevölkerung gefü­gig machen“.
Mit Frage 2 kann man sich als poten­ti­el­ler Verschwörer über­le­gen, wie man das Ziel erreicht:

  • Jemand muss eine Chemikalie fin­den, die das kann, aber das Wissen dazu geheim hal­ten → einige Mitwisser
  • Jemand muss die Chemikalie in gro­ßen Mengen pro­du­zie­ren → sehr viele Mitwisser
  • Jemand muss es in die Flugzeuge tan­ken. Dafür braucht es extra Tanks und Personal → sehr viele Mitwisser
  • Sie selbst und Ihre Familie müs­sen immun sein

Diese Punkte machen klar, dass es eine rie­sige Menge an Mitwissern gibt. Jeder schweigt nur, wenn er ent­we­der Geld bekommt oder er bedroht wird. Zum Bedrohen brau­chen Sie Personal und haben noch mehr Mitwisser. Wenn auch nur ein Mitwisser die Diagnose bekommt, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat, kann man ihm nicht mehr dro­hen. Man kann auch nicht ver­hin­dern, dass er per Testament einen Anwalt beauf­tragt, nach sei­nem Tod Briefe an Journalisten zu schi­cken, die es ent­hül­len.

Die Bevölkerung gefü­gig zu machen, hilft Ihnen nur, wenn Sie Teil der Regierung oder des Establishments sind. Doch was ist, wenn die Regierung wech­selt? Das ist in der Demokratie nicht zu ver­mei­den und die meis­ten Diktatoren wer­den frü­her oder spä­ter gestürzt. Dann soll­ten die Kondensstreifen auf­hö­ren, denn Ihren poli­ti­schen Gegnern wer­den Sie ja wohl nicht das Gegenmittel geben. Außerdem, was hat es Ihnen gebracht, wenn die Bevölkerung doch nicht so gefü­gig war und Sie abge­wählt oder gestürzt hat?


Das Hubboot

Themawechsel: Bei jeder Epidemie wird viel geschrie­ben, ob und wann es ein Gegenmittel gibt. Als Nicht-Fachmann fragt man sich, warum es z.B. nicht gelingt, ein Gegenmittel gegen Malaria zu fin­den. Diese Krankheit gibt es, seit es Menschen gibt, also sollte man sie in den Griff bekom­men. Da es nicht gelingt, kom­men schnell Verschwörungstheorien auf.

Um sich klar zu machen, was es bedeu­tet, ein Gegenmittel zu fin­den, kann man diese Herausforderung neh­men, die auf den ers­ten Blick ähn­lich mach­bar erscheint – das „Hubboot“. Dieses Boot soll Folgendes kön­nen:

  • unter Wasser fah­ren
  • als Hubschrauber flie­gen
  • lebende Menschen trans­por­tie­ren

Hubschrauber sind Stand der Technik seit ca. 80 Jahren, U‑Boote seit 100 Jahren. Also wo ist das Problem? – Dinge, die theo­re­tisch ein­fach erschei­nen, sind in der Praxis sehr schwie­rig.
(Daher kann man sich fra­gen, was wird es eher geben, ein Hubboot oder ein Mittel gegen Malaria?)

Autor: uwes­t­oehr