Verstehen braucht Information – Zur misslichen Aufklärung der jüdischen Geschichte Freiburgs im Nationalsozialismus

Weg­wei­ser zum Ort der Depor­ta­ti­on der Frei­bur­ger Juden auf dem Platz der alten Syn­ago­ge

Pünkt­lich zum Ende der Bade­sai­son errich­te­te die Stadt Frei­burg am Platz der alten Syn­ago­ge Infor­ma­ti­ons­ta­feln über des­sen Bedeu­tung frü­her und heu­te als Mahn­mal. Die Wahl des Plat­zes ist etwas frag­wür­dig. Die Tafeln ste­hen nah genug an der Syn­ago­ge, so dass man sich den­ken könn­te, da bestün­de ein Zusam­men­hang, aber auch weit genug weg, um sie zu igno­rie­ren. Aber immer­hin ste­hen sie da und es wird gebe­ten, nicht im Was­ser zu plan­schen oder zu spie­len, da es eine Gedenk­stät­te sei. Nun kann man sich fra­gen, war­um es über­haupt so lan­ge dau­er­te bis die­se Tafeln auf­ge­stellt wur­den. Bei einer logi­schen Pla­nung des Denk­mals hät­te auf­fal­len müs­sen, dass Men­schen, beson­ders im Som­mer, sich ger­ne im Was­ser abküh­len. Doch abge­se­hen von den mensch­li­chen Bedürf­nis­sen, bei denen sich die Men­schen stets am nächs­ten zu sein schei­nen, stellt sich die Fra­ge, war­um nicht von Anfang an Infor­ma­ti­ons­ta­feln auf­ge­stellt wur­den, die über die schlim­men Ereig­nis­se in Frei­burg infor­mie­ren und erklä­ren, war­um die­ses Denk­mal gebaut wur­de.

Wenn man den Bau in der Retro­spek­ti­ve betrach­tet, könn­te man der Stadt Frei­burg Böses unter­stel­len und zwar, dass es ihr nicht um einen Erin­ne­rungs­ort ging, son­dern nur dar­um einen schö­nen gemüt­lich Platz mit Was­ser zu schaf­fen. War­um sonst war es wich­ti­ger einen Teil der ori­gi­na­len Stei­ne der Syn­ago­ge weg­zu­schaf­fen, um das „per­fek­te“ Bau­werk nicht zu ver­schan­deln? Wäre es nicht ein­drück­li­cher gewe­sen, die Über­res­te mit ein­zu­bau­en? Ste­hen wir nicht beein­druck­ter und emo­tio­na­ler vor einem ori­gi­na­len Bau­werk aus dem bei­spiels­wei­se 15. Jahr­hun­dert, als vor einem kom­plett nach­ge­bau­ten Bau­werk? Vie­le Kin­der haben nackt im Was­ser des Denk­mals gespielt, geplanscht, Hun­de haben mit ihnen da drin­nen getollt. Eltern stan­den im Biki­ni und Bade­ho­se dane­ben oder auch mit drin­nen und haben es genos­sen, sich in der Son­ne abküh­len zu las­sen. Man­che haben es sogar so weit gebracht, sich in der Syn­ago­ge mit Was­ser­pis­to­len abzu­schie­ßen, qua­si wie im Frei­bad, wobei dies durch den star­ken Chlor­ge­ruch nur bestärkt wur­de.

War­um? Kin­der kön­nen und sol­len über­all spie­len, sie ver­ste­hen nicht, was ein Fried­hof ist und wahr­schein­lich noch weni­ger was eine Gedenk­stät­te ist. Man kann ihnen kei­nen Vor­wurf machen. Doch die Eltern ver­ste­hen sehr wohl was das ist. Nie­mand hät­te wohl was dage­gen, wenn Kin­der ihre Füße in die Syn­ago­ge hal­ten oder am Becken­rand etwas mit dem Was­ser spie­len, aber man kann den Kin­dern sagen, dass es ein Ort der Besin­nung ist und es nicht der rich­ti­ge Ort ist, eine Strand­stim­mung zu erzeu­gen. Frei­burg bie­tet vie­le Bade­ge­le­gen­hei­ten, war­um muss es dann die Syn­ago­ge sein? War­um sucht man sich bei so vie­len mög­li­chen Bade­s­tät­ten aus­ge­rech­net das Denk­mal der Syn­ago­ge aus? Ist es Igno­ranz? Die mensch­li­che Unacht­sam­keit, der die Men­schen dazu bewegt alles zu machen, Haupt­sa­che ihnen geht es in die­sem Moment gut? Feh­len­de Auf­klä­rung? Wenn man ehr­lich ist, ist es wohl von allem etwas. Doch zumin­dest gegen die feh­len­de Auf­klä­rung kann und muss etwas getan wer­den und sie beein­flusst viel­leicht zumin­dest ein wenig die ande­ren Aspek­te.

Doch lei­der kam die Auf­klä­rung zu spät und auch beim Stra­ßen­schild nach „Gurs“, einer klei­nen Stadt in Frank­reich im Dépar­te­ment Pyré­nées-Atlan­ti­ques, steht kei­ner­lei Infor­ma­ti­on, war­um die­ses Schild da steht. Mit die­sem Arti­kel soll zumin­dest ein klei­ner Bei­trag zur Auf­klä­rung geleis­tet wer­den und der Wunsch nach einer wei­te­ren Beschil­de­rung direkt unter dem Ver­kehrs­schild geäu­ßert wer­den.

Am Diens­tag, den 22. Okto­ber 1940 wur­den fast alle Juden Badens, der Pfalz, und des Saar­lan­des durch den badi­schen Gau­lei­ter Robert Wag­ner und Josef Bürckel, den Gau­lei­ter von Saar­pfalz, aus ihrer Hei­mat geris­sen. Die „Nicht­ari­er“ wur­den in das unbe­setz­te Frank­reich gebracht. Der 22. Okto­ber 1940 ent­sprach im jüdi­schen Kalen­der dem 20. Tishri (תשרי) des Jah­res 5701, dem letz­ten Tag des Laub­hüt­ten­fes­tes. Die­ses Fest erin­nert an den Auf­ent­halt in der Wüs­te, wäh­rend die Israe­li­ten den Weg aus Ägyp­ten nach Kana­an gehen muss­ten. Der letz­te Tag des Sukott (סוכות) (=Laub­hüt­ten)- Fes­tes ist eigent­lich ein freu­di­ger Tag, da mit ihm der Lese-Neu­be­ginn eines Tho­ra-Abschnit­tes beginnt. In die­sem Jahr wur­de den Juden die Freu­de aber genom­men.

Der Auf­trag für die Depor­ta­ti­on wur­de bereits am 15. Okto­ber 1940 beschlos­sen und wur­de im Gehei­men vor­be­rei­tet. Am Mor­gen des 22. Okto­bers war es dann soweit und Poli­zei­be­am­te teil­ten 1993 Juden mit, dass sie fest­ge­nom­men sei­en, um abge­scho­ben zu wer­den und zwei Stun­den haben, um sich dar­auf vor­zu­be­rei­ten. Für die betrof­fe­nen Juden kam dies also ziem­lich über­ra­schend und ohne jeg­li­che Vor­war­nung. Lil­li Recken­dorf gibt durch einen Bericht Aus­kunft über den Ein­druck des Gesche­hens im Stüh­lin­ger:

„Der Saal füll­te sich von Stun­de zu Stun­de. Es kamen Lör­ra­cher, Sulz­bur­ger, Eich­stet­ter, Brei­sa­cher etc. … Die sehr bunt zusam­men­ge­wür­fel­te Gesell­schaft benahm sich sehr still, fast vor­nehm. Man muß sich ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass Bau­ern, Vieh­händ­ler, Kauf­leu­te, Ban­kiers, Gelehr­te, Beam­te, Gesun­de, Kran­ke, Blin­dem Tau­be, Irr­sin­ni­ge und Ver­blö­de­te waren. Alle waren sie auf einen Schlag hei­mat­los, ohne mehr Geld als 100 M, ohne mehr Gut als was sie zu tra­gen oder über­haupt in der Über­stür­zung ein­zu­pa­cken ver­moch­ten. Und das war bei man­chen sehr wenig. Es waren mehr Alte als Jun­ge, mehr Frau­en als Män­ner“.1

Die Juden soll­ten nach Frank­reich gebracht wer­den. Die fran­zö­si­sche Regie­rung ver­such­te ver­ge­bens die deut­schen Staats­bür­ger nach Deutsch­land zurück­zu­füh­ren. So wur­den sie ins Inter­nie­rungs­la­ger Gurs gebracht, wo unge­fähr ein Drit­tel von ihnen ver­starb. Ein Arzt (Lud­wig Mann) beschreibt die Situa­ti­on im Lager sehr anschau­lich: „Die Bara­cken waren kalt, feucht zugig und schmut­zig, die Stroh­sä­cke lagen auf den schie­fen Bret­ter­bö­den, schlecht gefüllt mit muf­fi­gen Stroh. Es gab Wan­zen und Läu­se, Rat­ten und Flö­he; aber kein Ess­ge­schirr und kein Trink­ge­fäß. Alles Gepäck, die 20 kg, die pro Per­son erlaubt waren, war von dem Gepäck­ca­mi­ons auf die Lager­stra­ße gewor­fen wor­den und lag in wüs­tem Durch­ein­an­der in Dreck und Regen. Nur klei­ne Din­ge hat­te jeder bei sich, viel­leicht einen Becher, ein Mes­ser, mit denen sich meh­re­re behel­fen muss­ten. Wir waren voll­kom­men benom­men vom Schock der plötz­li­chen Depor­ta­ti­on aus der Hei­mat, trotz der Erbar­mungs­lo­sig­keit des Hit­ler­tums eben doch die Hei­mat war, in der wir auf­ge­wach­sen waren und vie­le Gene­ra­tio­nen vor uns ihr Leben ver­bracht hat­ten. Vie­le begrif­fen immer noch nicht, was mit ihnen gesche­hen war. Man saß auf den Stroh­sä­cken her­um, raus konn­te man nicht. Es reg­ne­te und reg­ne­te. Der Boden war ver­schlammt, man rutsch­te aus und sank ein. Die Grä­ben waren ver­stopft und das Was­ser lief über (…)“.2

Schlim­mer noch als die Beschrei­bung die­ses trost­lo­sen Ortes ist das Wis­sen, wie die Men­schen dort leb­ten oder viel­mehr zu über­le­ben ver­su­chen muss­ten. „Die Nah­rung, mit Mor­gen­ge­tränk (Kaf­fee), Mit­tags- und Abends­sup­pe in den Ilots [Insel­chen, Ein­tei­lung des Lagers in Blö­cke, Anm. d. Verf.] gekocht und durch 250g Brot auf durch­schnitt­lich 1000 Kalo­rien gebracht, war ganz unzu­rei­chend. Hun­ger, die völ­lig unge­nü­gen­de Hygie­ne – mehr­fa­che Ruhr­epi­di­mi­en, Läu­se und ande­res Unge­zie­fer.“.3 Die­se man­geln­de Hygie­ne und ärzt­li­che Ver­sor­gung sorg­te für eine enorm hohe Sterb­lich­keits­ra­te. Im Win­ter 1940/41 betrug sie bis zu 500 Tote.

Else Lief­mann, Kin­der­ärz­tin und Päd­ago­gin aus Frei­burg schrieb, nach­dem sie nach Gurs depor­tiert wur­de: „Wir haben täg­lich 10–15 Tote, meist alte Leu­te, aber auch ab und zu jün­ge­re und Kin­der. Das ist dann beson­de­res trau­rig. Aber der Dreck hier ist unbe­schreib­lich, dass, obgleich in mei­ner Infirmerie (Kran­ken­sta­ti­on) die Schwes­tern her­vor­ra­gend arbei­ten, dage­gen kaum anzu­ge­hen ist. Außer­dem feh­len uns ja so gut wie alle Hilfs­mit­tel und die Wir­kung ist mini­mal. Der Ver­tre­ter des Roten Kreu­zes wird hof­fent­lich berich­ten (…).“.4

Das ist nur ein klei­ner Ein­blick in die grau­sa­me Geschich­te der Okto­ber­de­por­ta­tio­nen und die­ser wird den meis­ten Lesern schon genü­gen.

Selbst­ver­ständ­lich wird in Frei­burg die­sem Tag gedacht, wie durch den Man­tel auf der Wiwilí­brü­cke (blau­en Brü­cke) oder auch durch die Syn­ago­ge. Doch sol­che Zei­chen brau­chen Erklä­run­gen und Auf­klä­rung. Jetzt ste­hen end­lich Schil­der mit Infor­ma­tio­nen bei der Syn­ago­ge und man kann nur hof­fen, dass die Men­schen im Win­ter nicht auf die Idee kom­men, dar­aus eine Schlitt­schuh­bahn zu machen oder im nächs­ten Som­mer sich wie­der mit Pis­to­len spie­le­risch abzu­schie­ßen, weil das so viel Spaß macht. Auch wäre es mehr als erstre­bens­wert eine Infor­ma­ti­on an das Ver­kehrs­schild nach Gurs zu hän­gen, damit man an jeder mög­li­chen Stel­le dar­an erin­nert wird, was pas­siert ist. Das Schild allei­ne klärt nicht auf. Wis­sen, Auf­klä­rung und Bil­dung sind unab­ding­bar, um den Men­schen zu zei­gen, was pas­siert ist und was sich auf kei­nen Fall wie­der­ho­len darf. Gera­de in einer so auf­ge­heiz­ten Stim­mung muss man mit Bil­dung gegen rech­te Stim­men ankämp­fen, Vor­ur­tei­le besei­ti­gen und Ver­trau­en schaf­fen. Wenn die Men­schen wirk­lich ver­ste­hen, was damals pas­siert ist, kann es nicht noch ein­mal gesche­hen, doch dafür muss Auf­klä­rung betrie­ben wer­den.

Lite­ra­tur:
1Vgl. Bräun­che, Otto/Steck, Vol­ker. Geschich­te und Erin­ne­rungs­kul­tur. 22. Okto­ber 1940 – Die Depor­ta­ti­on der badi­schen und saar­pfäl­zi­schen Juden in das Lager Gurs, hrsg. vom Stadt­ar­chiv Karls­ru­he, Karls­ru­he 2010, S. 19.
2Vgl. Ger­lach, Stefanie/Weber, Frank, „… es geschah am hel­lich­ten Tag!“. Die Depor­ta­ti­on der badi­schen, pfäl­zer und saar­län­di­schen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen, Stutt­gart 2000, S. 16.
3 Vgl. Kreh­biel-Darm­städ­ter, Maria, Brie­fe aus Gurs und Limo­nest 1940–1943, hrsg. von Wal­ter Schmit­t­hen­ner Hei­del­berg 1970, S. 21.
4Vgl. Ger­lach, Stefanie/Weber, Frank, „… es geschah am hel­lich­ten Tag!“. Die Depor­ta­ti­on der badi­schen, pfäl­zer und saar­län­di­schen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen, Stutt­gart 2000, S. 17.