Ziemlich genau drei Monate ist es nun her, dass im Stühlinger der neue Spätverkauf „Bis Späti“ im ehemaligen Joseph-Stüble aufgemacht hat. Seither erhitzt das Thema die Gemüter in der Stadt und vor allem hier im Stadtteil.
Anwohner*innen, die nachts ihre wohlverdiente Ruhe haben wollen auf der einen, und meist junge Nachtschwärmer*innen, die nach nächtlichen Freiräumen suchen, die es in Freiburg leider viel zu wenig gibt, auf der anderen Seite. Dieser besagte Freiraum wurde in den letzten Wochen und Monaten am knapp hundert Meter entfernten Lederle-Platz gefunden. In heißen Sommernächten hielten sich dort teils an die 100 Menschen auf – die Situation der Anwohner*innen wurde unerträglich, die Stadt schaltete sich ein. Seither wird der Platz am Wochenende teils mehrfach vom Ordnungsamt geräumt.
Eine solche Situation verlangt nach Kompromissen und Konzepten und für mich ist klar: es braucht hier Lösungen. Lösungen, die einerseits die Situation der Anwohner*innen und Gastronom*innen am Lederle-Platz verbessert, andererseits aber neue attraktive Freiräume im Stühlinger schafft, um gerade jungen Menschen ein Nachtleben zu ermöglichen.
In der letzten Zeit sind dies bezüglich einige Lösungvorschläge aufgetaucht. Ein paar davon bin ich als Begleiter in einer Nachtschicht des „Bis Späti“ auf den Grund gegangen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die folgenden Erzählungen als Erfahrung nicht frei von Subjektivität sind.
22:00 Uhr: Die Schicht beginnt. Es soll eine lange Nacht werden, denn Ladenschluss ist um vier. Draußen wartet bereits Stefan, Teil des Kollektivs, das den Laden demokratisch führt, auf mich. Er hält einen Besen in der Hand und fegt den Bereich rund um den Eingang. Die erste Handlung nach 22:00 Uhr, denn dadurch kommt man auch mit den Menschen vor dem Laden ins Gespräch. Die Hinweise nach 22 Uhr die umliegenden Parks aufzusuchen, die wir den Menschen geben, fruchten. Der Bereich an der Ecke Eschholzstraße/ Egonstraße leert sich.
Drinnen erklärt mir Stefan den üblichen abendlichen Ablauf. Immer wieder werden wir unterbrochen, da doch einige bekannte Gesichter auf den Couches sitzen. Ein kleines „Hallo“ hier, ein kurzes Gespräch, das Enttäuschung über die Beschlüsse des Klimakabinetts ausdrückt, da. Frage ich nach der Situation der Freiräume, so mischen sich Skepsis und Wohlwollen. „Der Eschholzpark wäre eine gute Alternative. Kaum Anwohner und so weit ist das ja echt nicht, aber halt keine Toiletten“, sagt mir ein Gast. „Genau das könnte man ändern, vielleicht auch gleich mit einer Außenbewirtung“, erwidere ich. Der Vorschlag kommt gut an, klingt aber auch nach hohen bürokratischen Hürden.
23:00 Uhr: Ab elf Uhr sitze ich an der Kasse. Der Andrang ist jetzt am größten und ich brauche ein wenig um etwas Routine beim Abkassieren zu bekommen. Währenddessen erfahre ich, dass der Lederleplatz bereits geräumt wurde. Drei Gruppen hielten sich da wohl auf. Probleme gab es heute wohl keine. Als sich der Andrang etwas gelegt hat, ist wieder etwas Zeit für Gespräche. Doch vorher müssen die Kühlschränke aufgefüllt werden. Plötzlich ertönt Spaghetti Carbonara von Spliff aus den Boxen. Von hinten hört man einen Gast rufen: „Sau cooles Lied, das haben wir auf Klassenfahrt immer gehört.“ Allgemein ist die Stimmung sehr angenehm. Alt und Jung kommen an diesem Abend zusammen, einige sitzen bereits seit über einer Stunde auf den Sofas und spielen Karten. Immer wieder folgen Gespräche auch mit vertrauten Gesichtern.
Mehr Außenbestuhlung wünschen sich eigentlich alle, mit denen ich rede. Draußen sitzen bis zu einer späten Uhrzeit in den Kneipen des Stadtteils in lauen Sommernächten. Da gibt es viel zu wenig Möglichkeiten, ist der einstimmige Tenor. „Man könnte doch 1–2 Parkplätze nutzen, wo Quartier und Egon bewirten dürfen. Kann die Stadt da nichts machen?“, kommt als Vorschlag auf.
Unser Stadtteil ist geprägt von seinem urbanen Leben und da gehört Außenbewirtung einfach dazu. Und die gibt es, finde ich, zu wenig. Wenn ich nach einem langen Arbeitstag noch ein gepflegtes Pils trinken möchte, ist draußen meist kein Platz mehr. Die Hürden der Verwaltungsgerichte sind dabei allerdings immer wieder äußerst hoch und deutschlandweit werden Fußweg-querende Außenbewirtungen in der Regel nur in Fußgängerzonen genehmigt.
00:30 Uhr: Gegen halb eins begebe ich mich kurz zum Lederle-Platz, um mir ein Bild zu machen. Es ist ruhig. Zwei Gruppen sitzen wieder auf dem Platz und unterhalten sich leise. Es ist kein Vergleich zu einigen Nächten diesen Sommer, in denen der Platz überfüllt war. Die Form des Platzes, wie ein Auditorium, trug ihren Teil dazu bei und ein paar Nachtschwärmer*innen hatten sich auch wirklich daneben benommen. Da hatte ich wirklich großes Verständnis für die Anwohner*innen. Respektvoller Umgang ist hier das A und O und nur so können wir Kompromisse und Lösungen finden. Ein Lösungsansatz ist es hier in die Parks zu gehen, wobei vor allem am Kirchplatz auch auf die dortigen Anwohner*innen Rücksicht genommen werden muss. Da sehe ich persönlich die Vorteile auf der Seite des Eschholzparkes, an dem es kaum Anwohner gibt. Allerdings ist eine Aufwertung des Stühlinger Kirchplatzes aus anderen Gründen unheimlich wichtig. Da liegt auch eine Chance, den Andrang am Lederle-Platz zu nutzen, um den Kirchplatz mit urbanem Leben zu füllen. Dabei muss aber wie oben bereits erwähnt auch die Situation der Anwohner am Kirchplatz berücksichtigt werden.
02:00 Uhr: Die Nacht im Späti verläuft heute relativ ruhig. „Der Andrang normalisiert sich in den letzten Wochen. Die Situation rund um den Laden entspannt sich zunehmend. Aber klar, das liegt auch am Ende des Sommers,“ sagt Stefan. „Wie wollt ihr die nächsten Monate gestalten und vor allem die Zeit im Winter?“ frage ich. „Der Späti sollte ja von Anfang an ein Ort des sozialen Miteinanders sein. Wir freuen uns jetzt darauf, mehr Zeit und Kapazität für verschiedenste Projekte zu haben. Im Oktober/November startet dann zum Beispiel endlich unser wöchentlicher Mittagstisch auf Spendenbasis, jeden Mittwoch. Außerdem soll es ein wöchentliches Nähcafé geben, wo man zum Beispiel seine Hose flicken oder einen Tabakbeutel nähen kann, und es gibt noch viele weitere Ideen.“
04:00 Uhr: Um vier Uhr ist endlich Schluss. Die letzten Gäste haben den Laden verlassen. Die anderen beiden sind sich einig, das war eine der entspannteren Nachtschichten. Ich dagegen muss ganz schön durchpusten. Jetzt noch Kühlschränke auffüllen, Kisten aus dem Keller holen, wischen. Das Klo zu putzen nimmt man mir glücklicherweise ab. Um viertel vor fünf steige ich auf mein Fahrrad und fahre nach Hause – trotz entspannter Schicht hundemüde.
Damit sei dieser kleine Selbstversuch beendet. Die mitgenommenen Eindrücke sind super, der „Bis Späti“ hat mir heute seinen sozialen Charakter als Begnungsort und Freiraum deutlich gemacht. Das ist etwas, was unser Stadtteil braucht. Und ich bin auch überzeugt, dass wir mit Kompromissbereitschaft Lösungen finden können. Die drei naheliegendsten Möglichkeiten sind meiner Meinung die oben beschriebenen, d.h. die Umgestaltung des Kirchplatzes, die Urbanisierung des Eschholzparkes sowie eine Ausweitung der Außenbestuhlung im Stadtteil.
Die Stadt muss jetzt handeln und Freiräume im Stühlinger schaffen, denn der nächste Sommer kommt bestimmt. Und wir wissen ja, die heißen Sommernächte werden in Zukunft länger und häufiger werden.